France 24: ‚Überlebende eines chinesischen Gulags’: Eine Uigurin, die als Geflüchtete nach Frankreich kam, erzählt von ihrer Tortur
Uigur Zeiten
Uigur Zeiten
Januar 18, 2021
Übersetzung aus dem Englischen von Uigur Zeiten
France 24
Januar 16, 2021
Nach drei erschütternden Jahren in chinesischen Umerziehungslagern erzählt Gulbahar Haitiwaji, eine uigurische Frau, in einem soeben veröffentlichten Buch von ihrer Tortur: Sie wurde aus Frankreich nach China zurückgelockt, um verhaftet, verhört und misshandelt zu werden.
„In den Lagern bedeuten Leben und Tod nicht dasselbe wie woanders. Hundertmal dachte ich, als uns die Schritte der Aufseher in der Nacht weckten, dass unsere Zeit für die Hinrichtung gekommen war.
Als eine Hand bösartig eine Haarschneidemaschine über meinen Schädel schob und andere Hände nach den Haarbüschel schnappten, die auf meine Schultern fielen, schloss ich meine, vor Tränen verschwommen Augen, weil ich dachte, mein Ende sei nahe“, schrieb Gulbahar Haitiwaji in ihrem Buch„ Rescapée du Goulag Chinois “, („ Überlebende des chinesischen Gulags“), welches sie gemeinsam mit der Journalistin, Rozenn Morgat der Le Figaro- verfasst hatte und, welches am 13. Januar vom Verlag Des Équateurs in französischer Sprache veröffentlicht wurde.
Drei Jahre lang durchlebte Haitiwaji, die der turksprachigen, muslimischen uigurischen Minderheit angehört, die Qualen in chinesischen Umerziehungslagern. In ihrem Buch berichtet die Mutter zweier Töchter über Verhöre, Folter, Hunger, Gehirnwäsche und Zwangssterilisationen, die sie selbst erlebt oder miterlebt hat.
Peking hatte nach einer Reihe tödlicher Angriffe auf Zivilisten im Jahr 2014 unter dem Deckmantel , „Krieg gegen den Terror“ drastische Überwachungsmaßnahmen gegen die uigurische Bevölkerung in deren Heimatprovinz Xinjiang verhängt.
JEMANDEN VERSCHWINDEN ZU LASSEN IST IN DER TAT MÖGLICH
Haitiwaji wurde 1966 in der riesigen nordwestchinesischen Provinz geboren. Als Ingenieurin, ihr Ehemann ist ebenfalls Ingenieur, begann sie in den 80er Jahren bei einer Ölfirma in der Stadt Karamay zu arbeiten. Die Diskriminierung der Uiguren war zu dieser Zeit bereits tief verwurzelt, und die Aussichten auf Arbeit gering.
Im Jahr 2002 beschloss Haitiwajis Ehemann, der die Situation nicht mehr ertragen konnte, zu gehen und Arbeit im Ausland zu suchen. Zuerst ging er nach Kasachstan und dann nach Norwegen, bevor er sich in Frankreich in der Nähe von Paris niederließ, wo er Asyl beantragte und vier Jahre später seine Frau und seine Töchter zu sich holte.
Über die Jahre hinweg hatte sich die Familie allmählich in Frankreich eingelebt. Aber im November 2016 änderte sich alles. Die damals 50-jährige Haitiwaji erhielt eines Tages einen Anruf von ihrer früheren Firma in China, in dem sie dazu aufgefordert wurde, einige für ihren Ruhestand erforderliche offizielle Unterlagen zu unterschreiben. Sie hatte ein schlechtes Gefühl dabei, als sie wusste, dass im Exil lebende Uiguren beobachtet wurden und in Xinjiang die Unterdrückung in vollem Gange war. Aber, die Firma bestand darauf und trotz ihrer Vorahnungen entschied sie sich, für nur zwei Wochen nach China zu gehen.
Tatsächlich sollte es eine Falle sein. Kurz nach ihrer Ankunft wurde Haitiwaji festgenommen und in Karamay zur Polizeistation gebracht, wo ihr das Foto einer jungen Frau gezeigt wurde, die sie nur allzu gut kannte – es war eine ihrer beiden Töchter, Gulhumar. „Sie posierte vor dem Place du Trocadéro in Paris und war in ihrem schwarzen Mantel eingehüllt, den ich ihr gegeben hatte. Auf dem Foto lächelte sie und hielt eine *Ostturkestan-Miniaturflagge [*der Name, mit dem Uiguren Xinjiang bezeichneten] in der Hand, eine Flagge, die die chinesische Regierung verboten hatte. Für die Uiguren symbolisiert diese Flagge die Unabhängigkeitsbewegung der Region. Es war eines der letzteren Demonstrationen, die von der französischen Zweigstelle des Weltkongresses der Uiguren organisiert wurden. Er vertritt Uiguren im Exil und spricht sich gegen Chinas Repressionen in Xinjiang aus “, schreibt Haitiwaji in ihrem Buch.
Die chinesischen Behörden beschuldigten die Tochter des Terrorismus und die Mutter musste dafür den Preis bezahlen. Haitiwaji wurde eingesperrt und von ihrer Familie abgeschnitten. „Nichts in Xinjiang ist so wie im restlichen China.“
„Jemanden verschwinden zu lassen ist in der Tat möglich. Schlimmer noch: Es ist einfach“, sagt sie. Einige Wochen lang war sie in einer Zelle eingesperrt und die Misshandlung begann. Sie galt als Kriminelle, ohne zu wissen, warum. „ Der Aufseher kam eines Morgens herein und kettete mich wortlos an die Gitterstäbe des Bettes. Das war vor zwei Wochen. Seitdem sitze ich an der Seite des Metallbettes, den Hintern im Staub. Ich kann mich für die Nacht auf die Matratze ziehen.“
EINE „SCHULE“ ZUR UMERZIEHUNG DER UIGUREN
Im Juni 2017 verlegten die Behörden Haitiwaji in eine „Schule“, in ein Umerziehungszentrum, in dem „die Lehrer den islamistischen Terrorismus aus den Köpfen der Uiguren ausrotten wollten.“ Laut Amnesty International und Human Rights Watch würden oder seien mehr als eine Million Uiguren in diese Lager deportiert worden. Die Insassen dort werden einer intensiven Gehirnwäsche unterzogen. Es ist ihnen verboten, ihre Muttersprache zu sprechen, und Kameras überwachen sie ständig in ihren Zellen, in den Korridoren und sogar in den Toiletten.
Die Tage werden mit chinesischem Geschichtsunterricht und Erklärungen zur Verherrlichung von Präsident Xi Jinping zugebracht. Die Propaganda bleibt konstant. Haitiwaji wurde zur Teilnahme an einer militärischen Ausbildung gezwungen: „Wir waren körperlich bis an unsere Grenzen hin erschöpft und hatten keine Lust mehr zu reden. Unsere Tage wurden vom Pfeifengekreische der Wachen beim Aufwachen, zu den Mahlzeiten und zur Schlafenszeit unterbrochen.”
Frauen wurden auch zur Impfung geschickt, aber laut Haitiwaji wurden sie eigentlich sterilisiert. Sie erkannte dies, als sie mit anderen Insassinnen sprach: „In der Freizeit vertrauten sich mir viele an und schämten sich, dass sie ihre Perioden nicht mehr bekamen. Sie sagten, ihre Menstruation habe gleich nach der Impfung aufgehört … Ich, die keine Menstruation mehr bekam, versuchte sie zu beruhigen.
Aber tief in meinem Inneren begann sich bereits ein schrecklicher Gedanke zu entwickeln: Sterilisieren sie uns?”
Laut einer Studie, die im Juni letzten Jahres von AP veröffentlicht wurde, hat die chinesische Regierung uigurische Frauen in Xinjiang zu Schwangerschaftstests, zu IUPs Sterilisationen und Schwangerschaftsabbrüchen gezwungen. Im November 2018 wurde Haitiwaji zwei lange Jahre nach ihrer Festnahme und am Ende eines neunminütigen Gerichtsverfahrens zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt.
Das Urteil ließ schließlich nur noch einen Schatten ihrer selbst zurück, nur einen Geist:„ Das Hin und Her im Lager, abgeschnitten vom Rest der Welt, meine Ausdauer zerbröckelt. Die anstrengende Routine wird immer und immer wieder wiederholt, und formt einen anstrengenden Tag.“ Aber Tausende von Kilometer entfernt kämpfte ihre Familie darum, Neuigkeiten über sie zu erfahren und vor allen Dingen darum, ihre Freilassung zu erreichen. Ihre Tochter Gulhumar beschloss, sich öffentlich zu äußern. Im Februar 2019 startete sie einen ersten Appell auf FRANCE 24.
Gulbahar Haitiwajis Tochter Gulhumar hat im Februar 2019 einen Aufruf für ihre Mutter über FRANCE 24 gestartet
„Meine Tochter weiß es noch nicht, aber sie hat gerade Feindseligkeiten ausgelöst.“- Sie sprach sich offen aus und beschuldigte China der unmenschlichen Behandlung. Sie war das erste Zufallsopfer der Politik des harten Durchgreifens, welches das tat! „Die Konsequenzen waren genauso groß wie das Risiko, das sie einging: gigantisch “, sagt ihre Mutter in dem Buch.
Die Angelegenheit lag nun in den Händen des französischen Außenministeriums Quai d’Orsay. Die Diplomatie wurde schließlich in Gang gesetzt, da Haitiwajis Ehemann und Töchter in Frankreich Flüchtlingsstatus hatten. Die Verhandlungen waren lang, aber schließlich wurde Haitiwaji in eine Wohnung verlegt und unter Hausarrest gestellt. Im August 2019 erklärte ein Richter aus Karamay sie nach einem kurzen Prozess für unschuldig – einfach so – und sie durfte Xinjiang verlassen und sich ihrer Familie in Frankreich anschließen, ohne ihre Strafe zu verbüßen.
Die Erleichterung war spürbar, aber die Narben bleibend: „Ich habe in den Lagern den Verstand verloren, das stimmt. Jedoch ist das alles sehr real. Nichts, was ich erlebt habe, spiegelt die krankhaften Fantasie einer Gefangenen wieder, die ihren Zustand übertreibt. Ich wurde wie tausende andere von Chinas Sturm mitgerissen. Von China, das deportiert. China, das quält. China, das seine uigurischen Bürger tötet.“
Nach diesen drei Jahren des „Wahnsinns“ hat sich Haitiwaji entschlossen, trotz der Gefahr für sie und insbesondere für ihre noch in China lebenden Verwandten offen zu sprechen. Ihr Auftrag ist es jetzt – die Stimme „all dieser Menschen zu sein, die unter der brutalen Last der Unterdrückung Frauen und Männer, auf weniger Mann und Frau zu sein, reduziert!“