Fernab von Ostturkestan bewahren Uiguren ihre Kultur

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Aus dem Englischen von Liam Scott „Far From Xinjiang, Uyghurs Keep Their Culture Alive“

15. März 2024

Die im Jahr 2018 gegründete Schule, ein Projekt des Vereins Uigurische Kultur und Bildung e.V., bietet Muttersprachenunterricht an und konzentriert sich dabei auf die nächste Generation. Einer der Lehrer, Abduweli Tursun (links), unterrichtet die älteren Schüler.



MünchenIn einem unscheinbaren Gebäude im Südwesten Münchens versammeln sich uigurische Kinder jeden Samstag, um etwas zu tun, was in ihrer Heimat von der chinesischen Regierung untersagt ist. Ihre Muttersprache lernen. Viele der Kinder haben ihre Heimat Ostturkestan (Uigurien) noch nie besucht.

Salamet Hashim, die 2017 nach Deutschland kam, ist eine Lehrerin an der uigurischen Schule in München. Wie ihre Schüler und deren Familien weiß auch sie nicht, ob oder wann sie zurückkehren kann. Im Gespräch mit VOA betonte sie die Bedeutung der Sprache für die Uiguren als Identitätsmerkmal.

Seit Jahren hat Peking die uigurische Sprache als Teil seiner umfassenderen Anstrengungen ins Visier genommen, um Uiguren gewaltsam in die dominante Han-Gruppe zu assimilieren. „Diejenigen, die den Preis dafür zahlen müssen, sind die uigurischen Kinder daheim”, sagte Hashim, die Lehrerin. „Sie vergessen ihre eigenen Wurzeln.”

Die Assimilationspolitik Pekings umfasst das Verbot für uigurische Kinder, ihre Sprache in der Schule zu lernen, und die Zwangseinweisung von etwa 900.000 uigurischen Kindern in sogenannte Internatsschulen. Für den Erhalt der Sprache und Kultur einer Gruppe, die seit langer Zeit in Ostturkestan (Uigurien) gefährdet ist, stellen die Sprachkurse in der uigurischen Muttersprache einen Akt des Widerstands gegen die chinesische Regierung dar, die daran arbeitet, die uigurische Kultur innerhalb der Heimat zu zerstören. Hashim sagte, dass sie der nächsten Generation durch den Muttersprachenunterricht in München „den Staffelstab zur Bewahrung und zum Schutz der Identität weiterreichen“ würden.

Abduweli Tursun, der als weiterer Sprachlehrer tätig ist, äußerte gegenüber VOA, dass die Gemeinschaft in München als Modell einer uigurischen Gemeinschaft betrachtet werden könne: „Es ist ein kleines Stück Ostturkestan. Wir fühlen uns hier zu Hause.“

Seit Jahrzehnten gilt München als das inoffizielle politische Zentrum für die uigurische Diaspora in Europa. Dieser Status ist in der süddeutschen Stadt deutlich sichtbar. An den Sprach- und Tanzkursen, den uigurischen Restaurants, den gut besuchten Protesten vor dem chinesischen Konsulat und dem starken Gemeinschaftsgefühl, das die hier lebenden Menschen vereint. 

Die Bedeutung Münchens als Zufluchtsort wurde teilweise durch eine uigurischsprachige Radiosendung beeinflusst, die von VOA’s Partnersender, damals bekannt als Radio Liberty, betrieben und in den frühen 1970er Jahren gestartet wurde.

Dieser Sender und die Stadt wurden gewissermaßen zu einem Leitstern für die Uiguren, die Ostturkestan (Uigurien) verließen, so Enver Can. Ursprünglich aus der uigurischen Stadt Ghulja stammend, arbeitete Can nach seiner Ankunft in München ab 1973 mehrere Jahre für den Sender.

„München wurde tatsächlich zum politischen Zentrum der uigurischen Diaspora-Bewegung. Und ich bin stolz darauf, dazu beigetragen zu haben. Und ich bin stolz darauf, Teil dieser Gemeinschaft zu sein”, sagte Can, der auch der Vorsitzende der uigurischen Menschenrechtsgruppe Ilham Tohti Initiative ist.

Als er nach München kam, lebten hier nur eine Handvoll Uiguren. Jetzt wird geschätzt, dass etwa 700 bis 800 Menschen in der Stadt leben. Das ist im Vergleich zu anderen uigurischen Gemeinschaften immer noch relativ klein. Im Gegensatz dazu leben mehrere tausend Uiguren im Raum Washington und schätzungsweise 50.000 Uiguren in der Türkei.

„Die meisten Uiguren, die in München leben, sind stark in die uigurische Kultur und den politischen Aktivismus involviert”, sagte Dolkun Isa, Präsident der Advocacy-Gruppe, Weltkongress der Uiguren mit Sitz in München.

Viele von ihnen fühlen sich verantwortlich, ihre Kultur lebendig zu halten und an die nächste Generation weiterzugeben, die sie nur aus den Erzählungen ihrer Eltern oder über die Medien kennen, die über Ostturkestan (Uigurien) informieren.

In Ostturkestan (Uigurien) hat die chinesische Regierung einige kulturelle Praktiken verboten. Andere wiederum würden laut uigurischen Menschenrechtsgruppen vereinnahmt und zu Touristenattraktionen umfunktioniert, um den Eindruck zu erwecken, dass alles in Ordnung ist. Im Rahmen dieser Kampagne inszenieren die Behörden Tanzvorführungen, um das stereotype Bild von „glücklichen, tanzenden Uiguren” zu festigen.

Eine preisgekrönte Tanzgruppe in München hingegen nutzt diese Kunstform, um mit ihrer Kultur verbunden zu bleiben. Viele der Schüler wurden in Deutschland geboren, haben aber den Wunsch, irgendwann nach Ostturkestan (Uigurien) zu reisen, wie sie VOA vor Beginn ihrer Proben erzählten. „Ich habe mir immer vorgestellt, wie es wäre, in meiner Heimat zu tanzen, und ich hoffe, dass es eines Tages geschehen wird”, so eine Schülerin.

Das Essen spielt eine wichtige Rolle in der uigurischen Kultur. In München bieten die gastronomischen Einrichtungen einen kulinarischen Brückenschlag zur Heimat.

Ursprünglich aus der Stadt Kashgar stammend, lebte Sopor Hajim zwei Jahrzehnte in München, bevor er 2018 das Tengri Tagh Uyghur Restaurant am Goetheplatz eröffnete.

„Die Restaurants dienen unserer Gemeinschaft als Ort des Erfahrungsaustauschs, des Geschichtenerzählens und vor allem des gemeinsamen Trauerns über die geteilte Last und kollektive Schmerzen“, sagte er bei einer Teerunde.

Nourgul Abliz, die 2011 zusammen mit ihrem Mann das Kashgar Uyghur Restaurant am Hauptbahnhof eröffnete, empfindet es ähnlich. Restaurants würden ihrer Meinung nach helfen die uigurische Identität außerhalb der Heimat zu bewahren.

„Es sind nicht NUR Restaurants. Sie dienen unserer Gemeinschaft als Treffpunkt, wodurch sie entscheidend dazu beitragen unsere uigurische Identität zu erhalten“, so Abliz, während ihre kleine Tochter über Stühle kletterte und unter Tischen hindurch schlängelte.

Es war Mittagszeit und das Restaurant war voll, deshalb sprach Abliz in einem Nebenraum mit VOA, wo sich Uiguren manchmal zum Meshrep versammeln, das Gemeinschaftsveranstaltungen, Musik, Geschichtenerzählen und Essen miteinschließt.

In Ostturkestan (Uigurien) werden sowohl Meshrep als auch die uigurische Küche politisiert. Im Jahr 2018 startete die chinesische Regierung eine Kampagne gegen Halal-Kennzeichnungen. Dennoch mögen sogar chinesische Regierungsbeamte uigurische Speisen, sagte Zumretay Arkin, die Sprecherin des World Uyghur Congress (WUC).

„Wir sagen immer; sie lieben unser Essen, sie lieben unsere Kultur, aber sie lieben uns nicht”, während sie vom würzigen Nudelgericht namens Rangpiza aß.

„Wenn eine Nation ihr eigenes Erbe und ihre Kultur vergisst, führt dies zum Aussterben dieser Nation. Wenn die Sprache nicht mehr gesprochen wird, die Traditionen, Werte oder Religion nicht mehr praktiziert werden, wird von uns nichts mehr übrig bleiben.”

Für Hajim bieten die Restaurants in München den Kunden selbst bei einer kurzen Mahlzeit, sich für einen Moment zurück in ihr Land zu versetzen, in welches sie möglicherweise nie mehr zurückkehren können.

„Wenn Uiguren hier essen”, sagte er, „fühlen sie sich, als wären sie zurück in Ostturkestan.”

Hajim lehnte sich in die gepolsterte Sitzecke zurück, die den gleichen himmelblauen Farbton wie die Flagge Ostturkestans besitzt und warf einen Blick auf ein nahe gelegenes Bild. Dieses zeigt eine der wenigen Moscheen, die in Kashgar noch stehen und von den chinesischen Behörden nicht zerstört wurden.

Enver Can gehört zu den eine Handvoll Uiguren, die in den 1960er Jahren als erste nach Deutschland kamen. Die uigurische Gemeinschaft in München ist seit ihrem Entstehen auf 600 bis 700 Personen angewachsen.

Die Kinder der uigurischen Gemeinschaft werden seit über 16 Jahren von der engagierten Tanzlehrerin Halise Abdullah unterrichtet.

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