Im Kerker überlebt – Ein Uigure erzählt
Augenzeugenbericht von H.H.
Ganze acht Monate trug ich diese schwere Fußfessel am Bein. Der erste Schock traf mich mit voller Wucht, doch mit der Zeit lernte ich, mich dieser grausamen Realität anzupassen – sogar meine Kleidung zu wechseln, ohne mich dabei zu verletzen. In einem verzweifelten Versuch, meine schmerzende Haut zu schützen, wickelte ich vorsichtig Stoffstücke um die harte, schneidende Fessel.
Doch selbst diese kleine Erleichterung wurde mir nicht gewährt: Als politischer Gefangener war ich der Willkür der Wärter besonders schutzlos ausgeliefert. Ohne Zögern riss einer von ihnen die Stofffetzen herunter und wies die chinesischen Mitgefangenen in der Zelle an, jeden meiner Schritte zu überwachen.
Die Narbe an meinem rechten Bein erinnert mich bis heute an das Scheuern der Fessel. Damals teilte ich eine winzige Zelle – nur drei Meter breit und fünf Meter lang – mit 23 anderen Menschen. Neben mir gab es zwei weitere Uiguren, der Rest waren verurteilte chinesische Kriminelle. Unter ihnen befanden sich auch zwei zum Tode Verurteilte.
Kaum hatten sie mich in diese Zelle gebracht, wurden die beiden anderen Uiguren verlegt. Zurück blieben 21 von uns – ich und ein dunganischer Drogenboss, ein chinesischer Muslime. Die übrigen 20 chinesischen Insassen, abgestumpft und jeder Menschlichkeit beraubt, ließen mich täglich ihre Grausamkeit spüren: Schläge, Belästigungen, Beschimpfungen – jede erdenkliche Form der Folter.
Ich kann mich an keine einzige Nacht erinnern, in der ich meine Beine ausstrecken und entspannt schlafen konnte. An der Wand meiner Zelle waren Einschusslöcher zu sehen – ich glaube, es waren 127, doch mit den Jahren verblasst die Erinnerung.
Diese Einschusslöcher stammten von der Ermordung Ubul Kasims aus dem Bezirk Kutschar – man hatte ihn durch die Essensklappe an der Tür und das kleine, vergitterte Fenster der Zelle erschossen…
Das Einzige, was mich hier aufrecht hielt, war das tägliche Zählen dieser Einschussspuren an der Wand und die imaginären Gespräche in meinen Gedanken mit diesem Menschen, den ich noch aus meiner Kindheit kannte…
Weil sie meine Feinde waren, konnte ich ihre Taten – so schmerzhaft sie auch waren – als Teil des Kampfes begreifen. Ich hatte diese Konsequenzen bereits auf mich genommen, bevor ich mich bewusst darauf einließ. Unter diesen Bedingungen versuchte ich zu überleben und hielt allem stand, ohne jemals jemanden zu verraten. Tief in meinem Inneren betete ich still.
Ich bin zutiefst dankbar, dass ich trotz aller Qualen keinen meiner Kameraden verraten hatte und außer mir niemand in diesen schwarzen Kerker gebracht wurde.
Vierzehn Tage lang hielten sie mich mit einem deutschen Schäferhund in einem winzigen Käfig gefangen – so klein, dass ich weder stehen noch mich hinlegen konnte. Der Hund biss nicht, aber sein ständiges Knurren ließ mich keine Sekunde zur Ruhe kommen.
Als ich aus diesem Käfig herauskam, war ich fast blind. Meine Lippen waren rissig und trocken. Und das alles Ende Juli, in der drückenden Hitze des Sommers.
Ja, ich habe gelernt: Die Grausamkeit des Feindes kann man ertragen – sie macht einen hart und lehrt einen, Schmerz auszuhalten. Doch der Verrat von Menschen, die man einst als Brüder und Schwestern angesehen hat, hinterlässt eine Wunde, die niemals heilt.