Nicht zugestellte Geburtstagswünsche – wie die KPCh uigurische Familien vernichtet
Memeteli wollte seiner Schwester Heyrigul eine Nachricht zu ihrem Geburtstag schicken. Aber sie wurde verhaftet und die KPCh möchte ihm ihren Aufenthaltsort nicht mitteilen.
Bericht: Martyna Kokotkiewicz
Juni 21,2020
Übersetzung aus dem Englischen von Uigur Zeiten
Memeteli wollte seiner Schwester Heyrigul eine Nachricht zu ihrem Geburtstag schicken. Sie aber wurde von der KPCh verhaftet. Ihr Aufenthaltsort wird ihm nicht mitgeteilt.
Hast du schon einmal, wenn auch nur im Scherz zu jemandem, der dir wichtig ist, gesagt, dass du ihn nicht mehr sehen möchtest oder du nicht glauben kannst mit einem so dummen Menschen, wie ihm wirklich verwandt zu sein? Wenn wir ehrlich sind, kennen wir das alle. Aber ernst gemeint, ist das nicht. Denn in Wirklichkeit liegt uns die vertraute Person sehr am Herzen. Erinnerungen an solche Erlebnisse mit den Liebsten sind schmerzhaft, wenn wir ihren Verlust spüren.
Die Situation, dass Familienangehörige verschwinden und wir zu ihnen keinen Kontakt aufnehmen können, kommt für gewöhnlich nicht oft vor.
Leider ist das aber die Realität, die Millionen Uiguren heute erleben. Memeteli Niyaz ist einer von ihnen. Vor einigen Monaten konnten viele Menschen seinen berührenden Post in den sozialen Medien lesen. Der Text, der sehr emotional war und stark an ein Gedicht erinnerte, war wie ein Geburtstagsgruss an seine Schwester Heyrigul. Sie konnte seine Nachricht nicht lesen.
Heyrigul wurde von den chinesischen Behörden festgenommen. Sie befindet sich höchstwahrscheinlich in einem chinesischen Gefängnis oder Umerziehungslager. Nach der Logik des chinesischen Regimes lauten die Gründe dafür wie folgt:
Im Jahr 2011, als die Reisefreiheit für Uiguren deutlich weniger eingeschränkt war, ging Heyrigul für ein Studium in die Türkei. Niemand aus der Familie ahnte damals, dass das Stipendium der türkischen Regierung, das Heyrigul erhielt und ein Erfolg zu sein schien, ihr eines Tages zum Verhängnis werden würde. Einige Jahre nach diesem freudigen Ereignis wurde der noch so geringe Kontakt zur Außenwelt zu einem Verfolgungsgrund.
Selbst Anrufe von Freunden und Verwandten aus dem Ausland, ganz zu schweigen von Reisen oder Studienaufenthalten außerhalb Chinas, wurden als Verbrechen angesehen. Heyrigul wurde von der selben Behörde bestraft, die ihr Jahre zuvor die Erlaubnis erteilt hatte, die Einladung aus der Türkei anzunehmen, um als Stipendiatin im Ausland zu studieren. Sie wurde buchstäblich dafür inhaftiert, weil sie die Grenze überquert hatte.
Bevor sich das Unglück anbahnte, reiste Memeteli im Juli 2013 zu seiner Schwester in die Türkei. Auf die gemeinsam verbrachten Jahre bezog sich Memeteli in seinem rührenden Geburtstagsbrief, den er vor einigen Monaten auf Facebook veröffentlichte. Seine bittersüßen Erinnerungen hätten die Herzen der größten Skeptiker zum Erweichen gebracht.
In seinem Brief, den die Hauptempfängerin immer noch nicht empfangen hatte, erinnerte er an die gemeinsamen Momente in der Türkei. Wie wahrscheinlich alle Geschwister auf der Welt konnten auch Memeteli und Heyrigul streiten bis ihnen die Tränen kamen. Memeteli räumte ein, dass ihm die Gründe ihrer Streitigkeiten heute völlig belanglos erschienen. In diesen Momenten hatten vielleicht beide Äußerungen von sich gegeben wie „Du bist nicht mein Bruder”, „ Wie kann so jemand Dummes bloß mit mir zu tun haben?” usw. Natürlich meinten sie es nicht so. Memeteli sagt in seiner Nachricht, dass er jeden Augenblick mit seiner Schwester vermisse. Auch, wenn sie manchmal verletzende Worte gebrauchte, als sie sich stritten.
Es war 2015 und nichts schien einem Besuch in der Heimat im Weg zu stehen. Memeteli hielt Heyrigul nicht davon ab in die Heimat zu reisen, im Gegenteil, er ermutigte sie dazu, weil er bemerkte, dass sie verstärkt unter Heimweh litt.
In einer so genannten normalen Welt absolut plausibel. Wenn wir sehen, wie jemand, den wir lieben leidet, weil er Freunde und Familie vermisst, würden wir alles darum geben, ihm zu helfen, damit sich derjenige wieder wohlfühlt.
Heyrigul kehrte 2015 in ihre Heimat zurück, wo sie einen Job in einem Tourismusunternehmen annahm. Später im Jahr 2016 gründete sie ihr eigenes Unternehmen, ein Reisebüro. Sie war eine junge, erfolgreiche Geschäftsfrau und trug zur Entwicklung ihrer Region bei. Dies ist wahrscheinlich einer der Gründe, warum die KPCh sie ins Visier nahm. Im Frühjahr 2017 wurde sie verhaftet. Seitdem hatte man von ihr nichts mehr gehört. Am wahrscheinlichsten ist, dass sie sich derzeit in der Stadt Aksu ( Ostturkestan) befindet. Dennoch können wir uns da nicht sicher sein. Wir können nicht einmal sicher sein, ob… Lassen wir diesen Satz besser unvollendet. Ihr LeserInnen, werdet die Zeilen verstehen.
Die Familie der Geschwister Memeteli und Heyrigul stammen aus der Region Toksun in Xinjiang (,welche von den Uiguren vorzugsweise Ostturkestan genannt wird). Sie haben zudem zwei weitere Brüder.
Wenn du die Datenbank der Opfer aus Xinjiang (Xinjiang Victim Database) durchgehst, wirst du auf die Eintragungen der beiden Brüder stoßen. Wir kennen nun das Ausmaß des Leids, das Memeteli erfährt. Was es für seine Eltern bedeutet, diese traumatischen Erlebnisse zu durchleben, können wir uns denken. Das Leben der ganzen Familie ist zerstört worden.
Diejenigen, die als „Opfer” bezeichnet werden, sind in der Regel Menschen, die in verschiedenen Arten von Haftanstalten oder unter Hausarrest festgehalten werden. Es sind Mütter und Väter, Brüder und Schwestern, Töchter und Söhne oder einfach nur Freunde.
Wir werden auch die nicht vergessen, die sich nach einer zweizeiligen Nachricht oder einem einminütigen Telefonanruf sehnen, um nur eine Bestätigung zu erhalten, dass es ihren Liebsten gut geht und sie noch am Leben sind.
Unsere Aufgabe ist es, ihnen zu helfen, die Tortur des Wartens zu überstehen. Sollte die Nachricht ausbleiben, werden wir für ihr Leid Zeugnis ablegen, in der festen Überzeugung, dass die Verursacher schließlich bestraft werden. Für all die nicht zugestellten Geburtstagswünsche, verpassten Chancen und zerstörten Träume.
Quelle: Bitter Winter